Sehnsucht, die uns Beine macht

Die schwule Community bei uns scheint gegenwärtig kaum noch von Sehnsucht nach Befreiung und Gerechtigkeit getrieben zu sein. Wird in der schönen, schwulen Welt nichts mehr ersehnt oder vermisst? So manche Sehnsucht scheint in neuen Abhängigkeiten wie Konsum, Fitness, Sex, Karriere und Glamour zu ersticken. Sind die ‚Fleischtöpfe Ägyptens’ einmal mehr verlockender als der lange und unsichere Weg ins Land der Freiheit? Was sättigt den Hunger nach Gerechtigkeit?

Die Sehnsucht nach „Coming-out“ und Freiheit bringt immer neu in Bewegung – wenn sie selbst wieder freigelassen wird. Dann macht Sehnsucht Beine, denn wer sich sehnt, kann die engen Räume verlassen und sich auf die Suche nach dem Ersehnten machen. So die Erfahrung einst in Ägypten, die Erfahrung so mancher Emanzipationsbewegungen und der Schwulenbewegung.

Die Jahrestagung Schwule Theologie 2007 hat sich vom 5.-7.10.2007 zum einen mit Erfahrungen von Queers auseinandergesetzt, für die die gesellschaftliche Befreiung noch in weiter Ferne liegt wie z.B. schwule Muslime. Zum anderen haben wir uns in gesellschaftlicher, theologischer, individueller und kirchlicher Perspektive auf die Suche nach „schwulen Sehnsüchten und Erwartungen“ gemacht – nach Erreichtem und nach Vergessenem, nach Verratenem und nach Uneingelöstem.

In Erfahrungsstatements, Diskussionen und Workshops sind wir verschiedenen Aspekten nachgegangen:

  • Allein befreit!? Befreiung zwischen individueller und politischer Dimension
  • Schwule und lesbische Befreiung: erreicht – verraten – entglitten?
  • Das zweite Coming-out – Wovon wir träumen, wofĂĽr wir leben, woran wir arbeiten

Eine Theologin hat uns aus queerer Theorie und Theologie Impulse für veränderte Selbst- und Fremdwahrnehmungen gegeben: Welche Potenziale sind schwuler Theologie entgangen, indem sie einen zu engen Begriff vom Schwul-Sein zu Grunde gelegt hat und blinde Flecken schuf, die sie heute eher bremsen als vorantreiben? Gibt es schwule Befreiung ohne die Befreiung jeglichen Geschlechts?

Ein schwuler Muslim konnte unser Nachdenken um eine interreligiöse Dimension ergänzen. Seine Arbeiten zu Homosexualität im Koran schaffen neben Einblicken in die Lebenswirklichkeit schwuler Muslime in Deutschland Perspektiven einer größeren Ökumene der Befreiung. Können wir Hoffnungen auf Befreiung über unterschiedliche religiöse Identitäten hinweg interreligiös teilen?

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Schwule Befreiungstheologie am Ende? Was nun?

Seit den Anfängen schwuler Theologie in Deutschland ist schwule Befreiungstheologie eines ihrer wichtigsten Paradigmen. Sie setzt bei der Erfahrung von Schwulen an, bettet diese in eine kritische Gesellschaftsanalyse ein und orientiert die Praxis stark auf Solidarität und die Bildung von Basisgemeinden hin, um nur einige Kennzeichen zu nennen. Das Verständnis von schwuler Theologie als Befreiungstheologie ist jedoch nicht unumstritten: Ist Befreiung wirklich noch das zentrale gesellschaftspolitische Anliegen für Schwule? Kann man auf dem Boden schwankender Erfahrungen überhaupt eine Theologie bauen? Verspielt schwule Befreiungstheologie mit ihrer radikalen Ethisierung und Politisierung des Glaubens nicht die Substanz christliche Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, die gerade für Aids-Kranke trösten wäre? Und für welche Schwule spricht „schwule“ Befreiungstheologie überhaupt?

Bevor schwule Befreiungstheologie(n) jedoch vorschnell und unbedacht verabschiedet werden, möchten wir Bilanz ziehen, ihre Ergebnisse und Defizite beleuchten, aber auch nach vorne schauen: Lässt sich schwule Befreiungstheologie z. B. durch die Rezeption der Macht/Wissen-Analysen von Michel Foucault oder der feministischen Befreiungstheologie von Elisabeth Schüssler Fiorenza sinnvoll weiterentwickeln oder ist das Denkangebot schwuler Befreiungstheologie erschöpft? Wie bestimmt man das Verhältnis zu Queer Theologien und zu anderen schwul-theologischen Ansätzen in Zeiten, wo eine globale neoliberale Ökonomie und Politik dazu führt, dass die soziale Ungleichheit wieder zunimmt?

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Katrin StĂĽckrath
„Im Anfang war die Vielfalt...“
Der Erste Kongress zur Vernetzung christlicher Schwulen- und Lesbengruppen in Deutschland

Die christliche Lesben- und Schwulenlandschaft ist bunter als der Regenbogen! In Bielefeld trafen sich vom 30.9.-3.10.2005 rund 150 Vertreterinnen und Vertreter von 14 Organisationen. Die Bandbreite reichte vom Netzwerk katholischer Lesben (NkaL), der ökumenischen Arbeitsgruppe Homosexuelle und Kirche (HuK), der Arbeitsgemeinschaft Schwule Theologie (WeSTh), den ökumenischen Lesbenorganisationen LuK, LiK und Labrystheia über lesbischwule Gottesdienstgemeinschaften (LSGG) bis zu freikirchlich organisierten Gruppen wie der Metropolitan Community Church und QueerChrist. Erstmalig war auch das virtuelle Netzwerk Linet-C durch die leibliche Anwesenheit seiner „Netzmeisterin“ vertreten.

Da war es kein Wunder, dass Männer und Frauen anfangs ein bisschen „fremdelten“. Die Schwulen staunten nicht schlecht über die starken Frauenfraktionen. Zum Glück gab es genügend Zeit, sich langsam besser kennen zu lernen, z.B. in den Workshops. In ihnen wurden vielfältige Themen angeboten wie Sichtbarkeit in der Szene, Queer-Theologie, Coming-out durchs Internet, Spiritualität für Transgender, die Situation von christlichen Lesben und Schwulen in Europa oder politische Perspektiven. Mögliche Vernetzungspunkte konnten auf diese Weise ausgelotet werden. So werden in Zukunft Delegierte aller Gruppen durch eine gemeinsame E-Group miteinander vernetzt sein und die Möglichkeit haben, sich bei aktuellen Anlässen zusammenzutun, z.B. wenn es darum geht, eine Stellungnahme abzugeben, Termine abzusprechen und gemeinsame Aktionen wie etwa zu den Kirchen- und Katholikentagen zu planen.

Wieso kamen wir erst jetzt auf eine so simple Idee? Die Zeit wird nun als reif empfunden, um nach den Ausdifferenzierungen der vergangenen Jahre wieder aufeinander zuzugehen. Ein Grund dafür ist vermutlich, dass unsere Organisationen in den letzten Jahren personell stagnierten und die Bereicherung von außen gebrauchen können. Außerdem sind wir gemeinsam einfach stärker, z.B. in der Kirchenpolitik. Günstig wirkt sich auch das veränderte gesellschaftliche Klima aus, so dass jetzt mehr Mut besteht, untereinander Informationen weiterzugeben und in der Öffentlichkeit Gesicht zu zeigen. Allerdings – das wurde klar – fühlen sich Lesben und Schwule in ihren jeweiligen Organisationen am wohlsten, und deshalb sollen diese auch weiterhin bestehen bleiben.

Neben vielen Kontakten, die auf dem Kongress entstanden, wurden am Ende Aktionsfelder für die konkrete Weiterarbeit sichtbar. Zum einen die Öffentlichkeitsarbeit. Als Werbung für schwullesbische Aktivitäten beim Kirchentag 2007 in Köln wurde ein noch nie da gewesenes Ereignis geplant: Beim Christopher-Street-Day 2006 soll ein Wagen mit Kirchentagsbannern und Logos von allen schwullesbischen Gruppen im Umzug mitfahren. Vielleicht mit einem Posaunenchor? Oder doch lieber mit christlicher Rap-Musik? Darauf dürfen wir gespannt sein.

Ein weiteres Aktionsfeld ist die Verbindung zum Europäischen Forum christlicher Lesben- und Schwulengruppen. Da das Europäische Forum seinen Schwerpunkt auf Menschenrechtsverletzungen in den europäischen Kirchen legt, wurde eine Zusammenarbeit mit Amnesty International konkretisiert. Um die zum Teil schockierenden Lebenssituationen in den ehemaligen Staaten des Ostblocks kennen zu lernen und Schwulen und Lesben von dort Mut zu machen, möchten wir in Zukunft bei unseren Treffen immer Gäste von dort zu uns einladen.

Ein drittes wichtiges Projekt auf längere Sicht ist der Aufbau ein gemeinsamen Internet-Portals (Name: „Kreuz und queer“?). Man könnte es dafür nutzen, sowohl Informationen an Externe weiterzugeben, z.B. regionale Angebote, als auch um intern Informationen auszutauschen und zu archivieren.

Konkrete kirchen- und gesellschaftspolitische Aktionsfelder zeichneten sich hingegen für den Moment nicht ab. Da von einer Großen Koalition wenig Unterstützung zu erwarten ist, sollten wir zukünftig versuchen, unsere Position in der Öffentlichkeit durch Kooperation mit dem Lesben- und Schwulenverband Deutschlands zu stärken.

Auf dem Kongress selbst waren die offenen Angebote für die persönliche Begegnung besonders wichtig. Dies geschah beim Chorsingen („Frauen- und Männerstimmen zusammen klingen einfach besser!“), bei kreativen Workshops und beim gemeinsamen Feiern, z.B. eines Gottesdienstes. Beim Gottesdienst mit Agapemahl zeigten sich die größten Differenzen, was wohl am Stellenwert des Abendmahls/der Eucharistie liegt. Für viele Mitglieder der HuK, die bei ihren Treffen eine ökumenische Mahlfeier halten, bedeutete das Agapemahl einen liturgischen Rückschritt. Dabei wird allerdings nicht bedacht, dass viele Lesben mit der traditionellen Liturgie des Abendmahls ihre Probleme haben, z.B. was die Sühnetheologie angeht. So erwies sich die Form des gemeinsamen Gottesdienstes als Baustelle, die wir noch bearbeiten müssen.

Ein Fazit vom Kongress formulierte ein Teilnehmer von der HuK folgendermaßen: „Da kommt viel mehr zusammen, als wenn wir wieder alleine unser Süppchen gebrodelt hätten.“ Deshalb einigten wir uns auf einen neuen Kongress voraussichtlich Anfang Oktober 2008. Wir wollen uns dann auf den Ökumenischen Kirchentag 2010 vorbereiten, um dort noch bunter, schöner und stärker zu erscheinen.

(Der Artikel ist zudem abgedruckt in Schlangenbrut Nr. 91, November 2005.
Den GruppenvertreterInnen liegt eine ausfĂĽhrliche Dokumentation vor, die sie bei Bedarf und auf Anfrage an ihre Gruppenmitglieder weitergeben.)

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Mesum 2004

Sex & Gott?!
Ein persönlicher Bericht über die Jahrestagung

Auf dem Weg nach Mesum bewegen mich verschiedene GefĂĽhle: Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit lieben Leuten, bin gespannt, was das Thema mir wohl bringen wird, und grolle darĂĽber, dass ein Wochenende so oft mit Freitag-Nachmittags-Stau beginnen muss.

Bei der Ankunft erlebe ich eine kleine Enttäuschung: es sind nur 16 Teilnehmer, aber die meisten kenne ich schon und fĂĽhle mich dann doch bald heimisch. Wie so oft bei Tagungen ist der erste small talk noch schleppend – zumal mit den Neuen – und Unsicherheiten ĂĽber die Ankunft von Teilnehmern und Referent bringen eine kleine Verzögerung. Aber der Sekt zur BegrĂĽĂźung und ein gutes Abendessen lassen das schnell vergessen. Die unkomplizierte Atmosphäre und das freundschaftliche Miteinander tun mir, der ich in der ›schwulen Diaspora‹ lebe, einfach sehr gut – und das trägt sich das ganze Wochenende durch.

Zur Vorstellungsrunde sind wir eingeladen, uns aus vielen Bildern (zu Mystik – Religion – Erotik und Sexualität) ein Bild auszusuchen, das irgendwie ›mit mir‹ zu tun hat. Schade, dass es nur so wenig Auswahl gibt, denn mein Bild die ›Johannesminne‹ von Heiligkreuztal ist als erstes weggegriffen. Dennoch sind die Bilder eine gute Methode, von Bekannten und Unbekannten Neues zu erfahren.

Während der Runde trifft – Gott sei Dank – der Referent ein, seines Zeichens »historischer Anthropologe«, und sein größtenteils frei vorgetragenes Wissen ĂĽber die mittelalterlichen MystikerInnen wird zum (ersten) Höhepunkt der Tagung. Die meisten MystikerInnen (BlĂĽte ca. 1120-1500) griffen zu bestimmten Stilmitteln, um zu beschreiben, was ihrer Seele in der unio mystica widerfährt, und zwar, als ob sie sich selbst dazu in Distanz halten wollten. Dagegen ist ihre Sprache so eindeutig erotisch, ja sexuell gefärbt, wie es die zeitgenössischen höfischen Romane nicht zu beschreiben wagten. Auch Männer (Robert von Deutz, Bernhard von Clairveaux u.a.) beschrieben so ihre Erfahrung. Damit erhalten die Texte einen homoerotischen Charakter, was von der (alten, vorreformatorischen) Kirche quasi anerkannt und respektiert wurde – fĂĽr mich eine neue erstaunliche Tatsache! Allerdings sind es immer hoch literarische Texte mit einer flieĂźenden Grenze zwischen Traumwirklichkeit, literarisch-poetischer Wirklichkeit und realer Wirklichkeit. Die religiöse Erfahrung wird als erotische Erfahrung beschrieben. Schade, dass ich nicht alles mitschreiben kann und der Forschungsstand hierĂĽber bisher auch nirgendwo so nachzulesen ist. Leider verpasse ich auch das in gemĂĽtlicher Runde fast bis Mitternacht dauernde Gespräch mit dem Referenten. Die anderen erzählen, dass es sehr gut gewesen sein muss.

In dem Workshop am Samstag mit Thomas Wagner besprechen wir 3 Texte von Hans Peter Hauschild: »Christus, der neue Dionysos« (1990), »Sebastiana« (WeSTh 2/2002) und »Hochzeitliche Hoffnungen« (aus »FleischesTheologie«, Münster 2004). Durch das Soziologen-Deutsch des ersten Textes muss ich mich durchkämpfen, ›Sebastiana‹ ist schwer zu verdauen, weil mir diese Art von Literatur und masochistischem Erleben zu fremd ist; doch der Text aus »FleischesTheologie« ist leichter zu lesen und lässt erahnen, dass Sexualität und ihre Extase auch eine Spur Gottes in unserer Welt ist. Die Hl. Schrift gibt da genügend Hinweise: JHWH als Freier (Hos 2,16.18.21.22., Jes 62,5f u.a.), Christus als Bräutigam (vgl. Mt 9,15 par) und die himmlisch Hochzeit (Offb 21,2; 19,7.9. und 22,17.20). Darin sind Denkanstöße, die weiterzuverfolgen sich lohnen.

Mir kommt im Nachdenken darüber ein Satz in den Sinn, der mir schon als Schüler lange vor meinem Coming-out einleuchtend war: »Kann fern von Gott sein, wer einbezogen ist in das Geheimnis seines Erschaffens und wieder für einen kurzen Augenblick die Edenspforte (das Paradies) betritt« (gemeint: beim Coitus von Mann und Frau) so Paul Claudel in »Der seidene Schuh« (3. Tag, 8 Szene) und ich ergänze für mich: kann fern von Gott sein, wer wirklich mit seinem ganzen Wesen liebt?! Wer sich selbst überschreitet (transzendiert – Ex-stase) berührt die Transzendenz – den transzendenten Gott.

Von den anderen beiden Workshops bekomme ich erzählt, dass sie recht aufschlussreich und dicht gewesen sind. Die eine Gruppe versucht zunächst, in Bildern Berührungspunkte von Gotteserfahrung und eigenem sexuellen Erleben zu malen. Anschließend lesen die Teilnehmer einige Stellen aus dem uralten Gilgameschepos und suchen in der Begegnung von Gilgamesch und Enkidu nach Zeichen dieser Berührung von Gottes- und sexueller Erfahrung.

Der dritte Workshop erarbeitet das Thema anhand von Texten, die Michael Brinkschröder ausgewählt und zusammengestellt hat. Alle drei Workshops waren wohl stark textorientiert und kopflastig, so dass es danach gut tut, im Gottesdienst zu singen und zu tanzen und danach auch zu saunieren.

In einem Gespräch am Rande wird mir abends deutlich, dass es bei Einzelnen den Wunsch nach praktischem körperlichen Erleben gab – aber das ist und war meine Erwartung nicht und wer wollte …

Schade, dass am Sonntagmorgen noch der – fĂĽr meinen Geschmack â€“ recht drastische Text »Calvinismus« von Lawrence Schimel vorgelesen wird (vgl. S. 404f in der Werkstatt 4/2004). Leider haben wir keine Zeit fĂĽr eine Diskussion darĂĽber, was einen gewissen Unmut und bei einem Teilnehmer »ein kotziges GefĂĽhl im Bauch« hinterlässt.

Insgesamt bleibt der Eindruck von einem gelungenen Wochenende mit gutem Gedankenaustausch und vielen Anregungen zum Weiterdenken und -forschen und nicht zuletzt dank der tollen Atmosphäre, der Einsatzbereitschaft aller und der Kochkunst von Wolfgang!

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Mesum 2003
Gottes Ein-Bildungen – Schwule Ansichten von Gott

Du sollst Dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen,weder von dem, was oben im Himmel,... (Ex 20,4)
… aber genau das tun wir: Wir schaffen uns Gottesbilder auf dem Hintergrund und in den Farben unserer Beziehungen, um ihn zu erschließen, um ihn greifbar zu machen. Und immer wieder müssen wir - wie in jeder Beziehung - jedes geschaffene Bild hinter uns lassen und Neues beginnen, da unser Blick nur einzelne Steinchen des unermesslichen Mosaiks mit Namen Gott erfassen kann.
Die Jahrestagung Schwule Theologie 2003 in Mesum hat einzelne unserer "schwulen" Gottesbilder in verschiedenen Workshops näher betrachtet.
Was leisten Gottesbilder, inwiefern offenbaren sie etwas von Gott, inwiefern verhĂĽllen sie ihn?
Was passiert, wenn Gottesbilder im Rahmen eines Bibliodramas oder eines kĂĽnstlerischen Gestaltungsprozesses miteinander konfrontiert werden?
Wo ist Platz für eine Theologie des Fleisches, wenn sich Gottesbilder in der Kunst auf entsexualisierte Motive beschränken und lustvolle Darstellungen in der Regel Gegenstand von Höllenbildern sind?
Welche Gottesbilder spiegeln sich im zurückliegenden Jahrzehnt schwuler Theologie? Welche haben uns geprägt?

In einer der nächsten Werkstatt-Ausgaben werden wir von den Workshops berichten.

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Mesum 2002
Lust – Askese – Ewigkeit
Unterwegs zu einer Theologie des Fleisches

"Lust – Askese – Ewigkeit", das Motto der Tagung Mesum 2002 hat bereits zum Ausdruck gebracht, dass sich in Schwuler Theologie kaum von Fleisch und Leiblichkeit sprechen lässt, ohne Ambivalenzen in den Blick zu nehmen. Ziel des Workshops mit Wolfgang Schürger war es, ausgehend von dem Umgang mit dem Thema "Fleischlichkeit und Leiblichkeit" in der eigenen Biographie unterschiedliche theologische Dimensionen dieses Themas in den eigenen Traditionen zu erschließen und in Auseinandersetzung mit diesen biographischen Erfahrungen und den eigenen Traditionen Perspektiven eines angemessenen Umgangs mit dem Thema "Fleischlichkeit und Leiblichkeit" zu entwickeln.

Der ausfĂĽhrliche Workshop-Bericht ist abgedruckt in der WeSTh 9, S. 414-419 und zum Lesen verfĂĽgbar unter Probe_2002-4_Schuerger.pdf

In der Werkstatt Schwule Theologie 9 (Heft 4/2002) berichtet auĂźerdem Arno Bosl "Vom guten Geschmack Gottes" (S. 420-427) und Marek Mackowiak ĂĽber "Glauben, der berĂĽhrt. Versuch einer Auswertung des Bibliodrama-Workshops auf der Tagung der Schwulen Theologen im Oktober 2002" (S. 428-436).

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Mesum 2001
HERAUSFORDERUNG: SCHWULE MORAL

Nachdem der Kampf um Moral immer wieder gegen die Schwulen, die vermeintlich Unmoralischen, geführt wurde, möchten wir nicht länger in einer defensiven Verteidigungshaltung die Normen heterosexueller Moral zurückdrängen, sondern nach den Moral-Konstruktionen schwuler Christen fragen. Sind unter uns nicht auch 'Moralisten'?
Die drei Leitperspektiven sollen dazu dienen, Bausteine schwuler Moral zu entdecken und zu heben.

  1. Welche Normen und welche Werte leiten unser Handeln? Auf welche Regeln haben wir uns in Beziehungen kurzer oder dauerhafter Art geeinigt?
  2. Wie kann mein eigenes Projekt vom 'schönen Leben' gelingen? Welche handlungsleitenden Aspekte verbergen sich in der Vielfalt schwuler 'Lifestyle'-Entwürfe?
  3. Ist schwule Moral nur eine Moral des schwulen Lebensbereiches? Gibt es eine politische Dimension schwuler Moral oder bleibt sie im Raum des Privaten oder der sexuellen Intimität?

Kann uns mit Bausteinen schwuler Moral eine theologisch inspirierte Debatte gelingen, die außerhalb des schwul-theologischen Binnenmilieus auch in Kirchen, Gesellschaft und „Szene“ als spezifischer Beitrag wahrgenommen wird?

Die ausführliche Berichterstattung ist abgedruckt in der Offenen Werkstatt des Heftes 1/2002 (Schwule KirchenVäter)

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Mesum 2000

Last und Lust der Bilder

Mildes Herbstlicht verlieh dem Münsterland am ersten Novemberwochenende des Jahres 2000 eine friedlich-entspannte Stimmung. Zeit für 20 schwule Theologen, aufzubrechen ins westfälische Mesum, um sich mit Gleichgesinnten über „Last und Lust der Bilder" auszutauschen. Hatte die Werkstatt „Wunsch-Bilder" bereits einige Denkanstöße geliefert, so bestand nun die Möglichkeit, noch intensiver in die Materie einzusteigen. Jeden Raum der Alten Villa hatte das Vorbereitungsteam mit – anfangs verhangenen – thematischen Bildern ausstaffiert: zum Beispiel der heilige Sebastian von Pierre et Gilles zusammen mit einer Fessel, die „Vertreibung aus dem Paradies" plus einem Apfel, im Fernsehen lief ein Schwulenporno – daneben lagen Gleitgel und Kondome –, oder ein leerer Bilderrahmen zum „Bildersturm". Begrüßungsrunde und Einstieg bestand aus fröhlichem Cruisen durch die Alte Villa zu derjenigen Installation, welche jeden Teilnehmer spontan am meisten ansprach. Klavierklänge, Männergesang und der obligatorische Saunaduft setzten das Kennenlernen bis weit in die Nacht gemütlich fort.

Ausgeschlafen teilte sich am Samstag das Feld: Thomas Wagner vertiefte seinen Werkstatt-Artikel „Ein Blick auf die schwule Ikonostase", Martin Hüttinger durchmaß „Ikonographie und Ikonoklasmus". Jürgen Deelmann konfrontierte seinen Workshop mit Grundzügen der Spiegel-Kommunikation aus Peter Schellenbaums Werk „Stichwort: Gottesbild" (Stuttgart 1981). Insbesondere die tiefenpsychologische Tragweite sogenannter „dunkler" Gottesbilder (z.B. strafend-züchtigender Gott, Aufpasser-Gott) faszinierte den Kreis und regte die Diskussion entlang folgender Schriftzitate und Thesen an:

Ăśber das Bildermachen
Du sollst Dir kein Gottesbild machen und keine Darstellung von irgendetwas am Himmel droben, auf der Erde unten oder im Wasser unter der Erde.      (Ex 20,4)
Jetzt schauen wir in einen Spiegel und sehen nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen, so wie ich auch durch und durch erkannt worden bin. FĂĽr jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.                    (1 Kor 13,12-13)
Hört das Wort nicht nur an, sondern handelt danach, sonst betrĂĽgt ihr euch selbst. Wer das Wort nur hört, aber nicht danach handelt, ist wie ein Mensch, der sein eigenes Gesicht im Spiegel betrachtet: Er betrachtet sich, geht weg, und schon hat er vergessen wie er aussah. Wer sich aber in das vollkommene Gesetz der Freiheit vertieft und an ihm festhält, wer es nicht nur hört um es wieder zu vergessen, sondern danach handelt, der wird durch sein Tun selig sein.             (Jak 1,22-25)

Die Liebe befreit ... aus jeglichem Bildnis. Das ist das Erregende, das Abenteuerliche, das eigentlich Spannende, dass wir mit den Menschen, die wir lieben, nicht fertigwerden: weil wir sie lieben, solange wir sie lieben. Man höre nur die Dichter, wenn sie lieben: Sie tappen nach Vergleichen, als wären sie betrunken... Warum? So wie das All, wie Gottes unerschöpfliche Gerämumigkeit, schrankenlos, alles Möglichen voll, aller Geheimnisse voll, unfassbar ist der Mensch, den man liebt – nur die Liebe erträgt ihn so.
Du sollst dir kein Bild machen, heiĂźt es, von Gott. Es dĂĽrfte auch in diesem Sinne gelten: Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was nicht fassbar ist. Es ist eine VersĂĽndigung, die wir, so wie sie an uns begangen wird, fast ohne Unterlass wieder begehen – Ausgenommen wenn wir lieben.          (Max Frisch, Tagebuch 1946-1949)

1    Die Wahrheit kann man nicht haben, nur Bilder lassen sich festhalten.
2    Was sich festhalten lässt, lohnt sich nicht festzuhalten.
3    Bilder sind lebensnotwendig, aber ihre Ăśberwindung ist ebenso wichtig. Zur Ăśberwindung brauchen wir neue Bilder, die dann wiederum ĂĽberwunden werden mĂĽssen.
4    Es gibt kein Wort, das nicht ein Bild ist. Unsere Sprache ist eine Bildersammlung.
5    Gott selbst ist kein Bild, aber wir haben nur Bilder von ihm.
6    Gott hat von uns kein Bild.
7    Bilder versuchen sich selbst als absolut zu setzen.
8    Es gehört zu unserer Begrenzung, das Bild und die Sache oder Person zu verwechseln. – Immer dann, wenn wir einen Reifungsschritt weiter machen können, fällt uns der Unterschied auf. Reifen heiĂźt dann: Bilder loslassen.
9    Statische Bilder sind immer LĂĽgen. Sogar in Steinen bewegen sich die MolekĂĽle noch.
10 Von anderen Menschen haben wir nur Bilder. Aber sie sind nicht ihre Bilder.
11 Die Kraft in Bildern kommt aus unserem Glauben an sie. Wir entscheiden, welchen Bildern wir glauben, auch welchen Gottesbildern.
12 Es ist wichtig, dass uns Bilder irgendwann enttäuschen. Sonst würden wir sie nie loslassen. Meistens lassen wir nur los, was wir eigentlich schon nicht mehr haben.
13 Mehr Energie wird darauf verwandt, kaputte Bilder zu flicken, als neue Bilder, reifere Bilder, (auf dem Weg in die Bildlosigkeit) zu suchen. Bilder zu flicken gleicht Wasser mit einem Sieb zu schöpfen.
14 Zerbrochene Bilder lassen die Wahrheit, die hinter ihnen liegt, stärker durchscheinen.
15 Die Liebe zum andern und zu mir verbietet mir, mich an das Bild, das der andere von mir hat, zu halten. Wenn ich es täte, ginge ich ihm und mir dabei verloren.
16 Enttäuschung ist ein Hinweis, dass ein Bild kaputtgeht. Jede Enttäuschung führt aus der Illusion, aber nicht unbedingt näher an die Wahrheit.
17 Auch ich habe ein Bild von mir, aber ich erlebe immer erst mich und dann mein Bild.
18 Misstraue diesen Aussagen. Sie sind Bilder. Wenn sie dich auf den Weg in die Bildlosigkeit locken, haben sie ihren Dienst getan.
(Ulrich Schaffer)

Wolfgang SchĂĽrger berichtet aus seinem Kreativ-Workshop:
„Was lag angesichts des Themas 'Last und Lust der Bilder' näher, als sich ihm auf kreative Weise anzunähern: Welches sind die Bilder, die uns aufgrund unserer religiösen Sozialisation belasten, welche setzen befreiende Visionen in uns frei?
Kreidebilder entstanden, dreidimensionale Collagen – ein buntes Spektrum der Bilder, die in uns sind und uns bestimmen. Schon auf den ersten Blick wurde dabei deutlich, welche Veränderungen zwischen den Generationen stattgefunden haben: gerade die Älteren unter uns brachten in ihren Darstellungen deutlich Kämpfe mit einem sehr traditionellen Gottesbild zum Ausdruck.
Zwei Beobachtungen waren fĂĽr mich im Laufe des Tages sehr interessant:
Ich hatte die beiden Teile des Tages bewusst ganz parallel aufgebaut: Kreativ-Phase, Betrachtungs-Phase, Vertiefungs-Phase. Alle Teilnehmer waren anfangs etwas skeptisch, wie sie die belastenden Bilder zum Ausdruck bringen könnten. Doch sehr bald waren sehr ausdruckstarke Werke entstanden. Im Rückblick des Nachmittags war dann die einhellige Meinung, dass die positiven, befreienden Bilder die wesentlich größere Herausforderung dargestellt hatten.
Auf diesen positiven Darstellungen fiel auf, dass das Kreuz, wenn überhaupt, dann nur in gebrochener Form vorkam. Für alle von uns stellte das Kreuz in seiner traditionellen Form offenbar kein befreiendes Element unseres Glaubens dar. Was dies für eine schwule theologia crucis bedeutet, konnte leider nur noch kurz andiskutiert werden. Eine Vertiefung auf einer der nächsten Tagungen oder in der Werkstatt wäre sicherlich lohnend."

Aus den Gruppen mit mehr oder weniger rauchenden Köpfen entlassen versammelten sich alle zum feierlichen Abendmahlsgottesdienst, dem Andreas und Sieghard vorstanden. In Gebet und Betrachtung konnte jeder Anregungen, Erkenntnisse und Fragen der vergangenen Stunden einfließen lassen. Das von der exzellenten Küchencrew bildschön kredenzte Buffet lieferte seinen Beitrag zum intensiven, doch rundum gelungenen Tag.

Sonntags galt nach Rückblick und Stimmungsbild der Dank aller Teilnehmer dem Vorbereitungsteam aus Andreas, Jürgen und Sieghard, die viel Zeit und Kreativität in die Jahrestagung investiert hatten. Mit einer Fülle von Ideen und Vorschlägen wurden die Münsteraner Arnd, Hagen, Jan und Veit auf den Weg geschickt, Mesum 2001 vom 19. bis 21. Oktober vorzubereiten. Erste Gedanken zum Thema „Gotteserfahrung und Sexualität" wollen sie in der Werkstatt vorstellen, um die Debatte bereits im Vorfeld anzureißen. Die Mitgliederversammlung der „Arbeitsgemeinschaft Schwule Theologie" schloss zumindest den offiziellen Part; auf Autobahn oder Schiene setzte so manches Grüppchen die Tagung angeregt fort.

Christian Herz, kath. Diplomtheologe, lebt in MĂĽnchen und arbeitet bei der Stadtverwaltung. Er betreut die Abonnenten und Kasse der Werkstatt. Der Beitrag erschien in WeSTh 7 (Heft 4/200), S. 331-333.

 
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Mesum 1999

Wege aus dem Exil

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Mesum 1998

"doch ĂĽber der Zisterne leuchtet die Nacht"

 

Leuchtende Sterne ĂĽber der Zisterne

Anmerkungen zum Thema des Treffens in Mesum im Oktober 1998

Jeg har aldri gjort noe galt

Alt jeg tenker pĂĄ
Og alt som jeg har glemt
Alt jeg ikke gjør og
Noe som har hendt
Lars Saabye Christensen1

ICH HABE NIE ETWAS FALSCH GEMACHT

Wer würde eingestehen, diesen Refrain des obigen Gedichtausschnittes jemals ausgesprochen zu haben? Ich bin vielleicht nicht immer bescheiden, aber das wäre dann doch zuviel. Trotzdem gehörte dieses Gedicht lange Zeit zu meiner Lieblingslyrik. Ich sehe es als ein Gedicht, das Mut macht. Mut, den Weg, den man unbewußt schon eingeschlagen hat, weiterzugehen. Derartige radikal dem Leben enthobene Formulierungen wie „Ich habe nie etwas falsch gemacht" sind für mich manchmal notwendig, bergen wohl etwas Mystisches in sich, das seine temporäre Wirkung hat, ihrer bedarf, und die Bedeutungsebene ganzheitlich ins Ungewisse erhöht und ausweitet, indem das ganze Leben in den Blick genommen wird, quasi zeitlos.2 Vielleicht ist ja auch das Coming-Out eine dergestalte zeithafte Bestimmung des Zeitlosen, eine Zeitenwende, die sich eigentlich noch nicht zwischen der Tiefe der Gefühle und dem „neuen" Leben entschieden hat, auch wenn die Richtung vorgegeben ist. Ich empfand dies als eine Phase, in der ich vieles wesentlich absoluter sah als zuvor. Es ist eine Phase, für die ich – im nachhinein gesehen – sehr dankbar bin, da diese Erfahrung der Überhöhung, der Zeitlosigkeit, so deutlich war, daß selbst ich sie bemerken mußte, daß sie zu einem der nicht sehr zahlreichen Denkmäler meiner Vergangenheit wurde.
Obwohl einige in Mesum an der Imaginationskraft der Begriffe zweifelten, würde ich doch gerne ersteres (die Welt der Gefühle) als die Welt der Zisterne und letzteres (das „Neue") als die Welt der Sterne bezeichnen. Im folgenden soll es um den Weg hin zum Blick aus der Zisterne zu den leuchtenden Sternen gehen oder weniger metaphorisch ausgedrückt: „Sich befreien ist nichts; frei sein können ist das Schwierige."3

IN DER ZISTERNE

In einer Zisterne ist man nicht freiwillig, man wird hineingeworfen. Zisterne – das klingt wie ein Begriff aus befreiungstheologischer Terminologie. Zisterne – das klingt wie ein Gefängnis, wie Verlorenheit im Dunkel nasser Kälte. Es verwundert nicht, daß die Zisterne auch mit Schwermut in Verbindung gebracht wird.4 Eine Zisterne macht das Abgesondertsein überdeutlich, wer in ihr ist, ist ausgegrenzt, vom Tode bedroht. Spätestens hier ist die Frage, ob dieses Bild für die Gefühlswelt nicht viel zu hoch gegriffen ist, zu stellen. Egal, wie positiv oder negativ man sein Coming-out, um bei diesem Beispiel zu bleiben, erlebt hat, so denke ich, daß das Bild der Zisterne sehr aussagekräftig ist.
Bei einschneidenden Erlebnissen bin ich immer geneigt, sie aus dem Alltäglichen herauszulösen und zu verabsolutieren, das heißt im nachhinein Unwichtiges wegzulassen, mich auf das Wenige zu begrenzen, sie vielleicht gar ein wenig zu verfälschen, um das mir Wichtige hervorzuheben. Die Zisterne ist für mich ein schönes Bild für das Anderssein, das sich in den eigenen Gefühlen manifestiert. Die Welt der Zisterne ist eine eigene Welt, sie zu verlassen ist unmöglich. Sie läßt sich höchstens verdrängen. Schwule sind in einer Zisterne, in einer eigenen Welt, haben eine eigene spezielle Biographie und werden sie auch weiterhin haben, trotz aller Akzeptanz und Annährung an anderes, werden also die Zisterne nicht verlassen.
Gewinner lassen sich nicht von der Masse beeinflussen, sondern gehen ihren eigenen Weg, treten aus der Masse heraus, meint Jürgen Höller, ein Unternehmensberater. Sind Schwule also dazu prädestiniert, „sicher zum Spitzenerfolg"5 zu kommen? Wird die Werkstatt in drei Jahren das tonangebende theologische Journal Deutschlands sein? Wollen wir es nicht hoffen. Das Bild der Zisterne ist ein radikales Bild, das deswegen aber nicht falsch ist. Wer auf die lange Sicht „Gewinner" bleiben will, tut aber gut daran, Kompromisse zu schließen und sich auf andere und anderes einzulassen. Das Bild der Zisterne soll also in seiner Breite eine wichtige Lebensabschnittserfahrung deutlichmachen, die Erfahrung des Schicksals, des unschuldig Leidenden. In Zeiten, in denen Heterosexualität noch immer ansteckend ist, ist die Zisterne wohl kein rundherum falsches Bild.

DER BLICK ZU DEN STERNEN

In der Zisterne richte ich mich ein, je länger ich drin bin, umso heimischer werde ich. Ich erkenne die Grenzen an, die gesetzt sind, gebe auf, gegen sie zu rebellieren, versuche, das Beste daraus zu machen. Ich gewinne die eigene Perspektive, die sich aus meiner eigenen Lebenswelt entwickelt.
Irgendwann gibt sich diese Perspektive nicht mehr mit der Mauer zufrieden; egal, wie gut ich mich eingerichtet habe, der Blick richtet sich auf das hereinfallende Licht, wendet sich nach oben, wandelt sich. Es ist nicht die Sonne, die fasziniert, es sind die vielen kleinen Sterne, die den Blick in die Weite schweifen lassen. Die Sonne macht traurig, die Sterne lassen hoffen.
Doch Sterne sind weit weg. Besonders dann, wenn man selbst der Meinung ist, daß der Griff zu den Sternen einem nicht gelingt, nicht gelingen kann. Sterne sind unerreichbar, der Griff zu den Sternen ist unmöglich. Weiß man dies, nämlich, wo die Sterne zu finden sind, daß sie unerreichbar sind, kann man Sterne erst wirklich als Sterne sehen. Anders ausgedrückt: Es gehört ein Impuls dazu, seinen Lebenshorizont zu erweitern. Ein Impuls, der in einem selbst geweckt wird. Ich bin mir nicht sicher, wie dieser Impuls auszusehen hat; ich denke nicht, daß er sich ohne weiteres beschreiben läßt. Es ist wohl die Wendung vom „Coming-out" zum „Coming-in", vielleicht ja eben zur Selbstreflexion. Ich bin mir nicht schlüssig, ob der Begriff des „Coming-in" brauchbar ist, oder nur ein schlechtes Sprachspiel darstellt. Es soll jedenfalls zeigen, daß es kein Sich-Abfinden bedeutet, sondern ein Weiterarbeiten. Dies scheint mir der Begriff des Coming-outs nicht zu verdeutlichen, die Phrase des lebenslangen, immerwährenden Coming-outs halte ich für extrem platt, da sich meines Erachtens die Markierungen, die Koordinaten verschieben. Die Lebensgestaltung gewinnt eine Zielrichtung, die sich aus der Vergangenheit, der Zisterne, ergibt und mit ihr als „Neues" in ein Spiel tritt.

LEUCHTENDE STERNE ĂśBER DER ZISTERNE

Damit hat eine Wahl stattgefunden. Aus der Beliebigkeit der Möglichkeiten wird ausgewählt, entwächst eine Perspektive. Nicht nur die eine, blendende Sonne ist da, sondern eine Vielzahl an größeren und kleineren Sternen. Durch die Betrachtung öffnen sich viele neue Einsichten, durch die Auswahl erst wird die Zielrichtung gewonnen. Der Standpunkt bestimmt die Perspektive mit, aber nicht allein er bestimmt sie. Genauso bedeutend ist dafür, wie man sich in der Zisterne eingerichtet hat. Das kann wesentlich von der Zisterne selbst bestimmt sein, muß es aber nicht.
Die Zisterne bewirkt einen stärkeren Bedacht auf die Möglichkeit der Wahl durch das Bewußtsein, wie eine nicht erwählbare Lebenserfahrung erlebt werden kann, zumindest aber zeigt sie die Möglichkeit der Abgrenzung, der Differenzierung. Das Eingerichtetsein in der Zisterne kann sich kaum völlig von der Zisterne loslösen, die Zisterne kann nicht aufgehoben werden, der Grad des Bezugs auf sie kann sich ändern. Jedoch sind die Sterne eben nicht nur aus der Zisterne heraus betrachtet unerreichbar, dies wird nur deutlicher bewußt. Die Lokalisierung des eigenen Ortes geschieht (zumeist wohl unbewußt) im Spiel der Beziehungen.
Es stellt sich nun die Frage, ob es sich hier nicht um eine Verengung, eine Einengung der Perspektive handelt. Ja, dem ist so. Dies ist aber nichts, was von vornherein negativ ist. Ohne Perspektiveneinengung wäre Leben nicht möglich. Ist man sich darüber bewußt, gewählt zu haben, gewinnt die Wahl an Bedeutung. Die Erfahrung in der Zisterne muß nicht nur auf die Homosexualität beschränkt sein, sie kann in meinem eigenen Leben öfters auftreten wie auch im Heterovolk. Die eigene Identität kann nicht auf Dauer absolut gesetzt werden. Das Einrichten in der Zisterne meiner Sexualität ist jedoch mein Spezifikum. Eine Schwule Theologie oder eine Theologie aus schwuler Perspektive oder eine Theologie schwuler Theologen befindet sich also, egal wie sie sich nennt, nur bedingt in einer undurchlässigen Zisterne. Ich wage aber die These, daß Theologie nur dann ihre volle Kraft erreichen kann, wenn sie aus (irgendeiner) Zisterne kommt. Das impliziert, daß Theologie zentral aus der Prophetie heraus lebt, denn die Zisterne lehrt, was ein Prophet ist. Anderssein als Lebenserfahrung wird dadurch zu einem Gewinn.

 

1             „Ich habe nie etwas falsch gemacht
Alles, woran ich denke
Und alles, was ich vergessen habe
Alles, was ich nicht tue und
Etwas, das geschehen ist" –
Dies ist der letzte Teil des Gedichts „Der Schatten" des norwegischen Autors Lars Saabye Christensen (Übers. von mir). Es ist für die CD Dronning Mauds Land (1991/1992) geschrieben.
2             Da die Zukunft an sich keine bestimmbare Zeit ist, sehe ich sie als zeitenthoben an. Gerade weil die Zeit ganzheitlich in den Blick genommen ist, löst sie sich auf.
3             Gide, AndrĂ©: Der Immoralist, Stuttgart, 1997 (franz. Originalausgabe 1902), S. 14.
4             Vgl. etwa Bohren, Rudolf: In der Tiefe der Zisterne. Erfahrungen mit der Schwermut, MĂĽnchen, 1990.
5             So der Titel des Hörbuchs von JĂĽrgen Höller, nach eigenen Angaben einer der teuersten Unternehmensberater der Welt. Die Kassette ist 1998 erschienen.

 

Thomas O. SĂĽlzle. Der Beitrag erschien in WeSTh 6 (Heft 1/1999), S. 4-7.

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